Der französische Staat hatte die Städte aufgefordert, 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges, der in Frankreich 1,3 Millionen Tote forderte, in irgendeiner Form dieses „Grande Guerre“ zu gedenken. Die Vereinigungen „Anciens combattants / Ehemalige Frontsoldaten“ sowie „Les Amis de L’Isle-Adam/Die Freunde L’Isle-Adams“ haben Ausstellungen über die aus L’Isle-Adam in den Krieg gezogenen Soldaten organisiert, von denen 250 fielen (damalige Einwohnerzahl: 3500). Die Partnerschaftsvereinigung „Les Amis du Jumelage Marbach – L’Isle-Adam“ wollte ihre Aktion ganz an dem Gedanken an die Versöhnung beider Völker und an ihrem Motto „Wir sind Freunde“ orientieren, durch die Vorführung des Films „Frohe Weihnachten“ und die Organisation des „Versöhnungskonzertes“. In ganz Frankreich sollen in den nächsten vier Jahren weitere Gedenkveranstaltungen stattfinden.
Bürgermeister Jan Trost konnte aus terminlichen Gründen nicht zum Konzert nach Frankreich fahren. Die Vorsitzende der Projektgruppe Städtepartnerschaft und Stadträtin Ute Rößner sowie Eckhard Fischer, der in der Projektgruppe Städtepartnerschaften der Stadt Marbach für L‘Islel-Adam zuständig ist, samt Ehefrau, haben dieser Einladung Folge geleistet und fanden sich am 21. November zum Festabend in der Stadthalle von L’Isle-Adam ein, mit einem Ehrenplatz in der ersten Reihe. Ein festliches Bild boten bei ihrem disziplinierten Einmarsch die 50 „Demoiselles de la Légion d’honneur / Mädchen der Eliteschule des von Napoleon gegründeten Ordens der Ehrenlegion“ in ihren schwarzen Kleidern und blauen sowie roten Schärpen. Auf der Bühne angekommen und zum Konzert aufgestellt, bildeten die Mädchen einen geschlossenen Hintergrund für Isabel Delais, die Vorsitzende des „Comité du Jumelage Marbach – L’Isle-Adam“, zu ihrem Grußwort. Sie betonte darin, dass man heute, wo doch Franzosen und Deutsche Freunde geworden seien, den Soldaten weiterhin einen ehrenvollen Respekt zollen sollte. Isabel Delais verwies auf die Musik, mit ihrer verbindenden Rolle jenseits der Sprach- und Staatsgrenzen, die europäische Nationen zusammengeführt hat, eine Aktion, die in dem Film „Fröhliche Weihnachten“ deutlich dargestellt wird, als Deutsche, Franzosen und Schotten auf dem Schlachtfeld gemeinsam Weihnachten feiern, um danach wieder in ihre Schützengräben zurückzukehren und aufeinander schießen zu müssen. Eine verbinde Rolle sah Isabel Delais jetzt darin, dass Schülerinnen aus der Schule eines militärischen Ordens an diesem Tag für den Frieden singen. Zunächst ließ der Chor, nach der „Hymne der Verbrüderten“ aus dem Film „Joyeux Noel“ Raum für die Rezitation eines Schülers aus einem Brief des Soldaten Charles Guinant von 1916 an seine Frau: „Liebling, ich schreibe Dir, um Dir zu sagen, daß ich nicht mehr aus dem Krieg zurückkehren werde. Weine bitte nicht, sei stark! Der letzte Sturmangriff hat mir meinen linken Fuß gekostet, als eine Granate neben mir einschlug. Meine Wunde hat sich infiziert. Die Ärzte sagen, dass mir nur noch einige Tage zum Leben bleiben. Wenn dieser Brief Dich erreicht, werde ich vielleicht schon tot sein. Vor drei Tagen gaben uns die Generäle den Befehl zum Angriff. Daraus wurde ein völlig unnützes Blutbad, von den im Angriff beteiligten 20 000 Soldaten blieben 5000 übrig. In Deinem letzten Brief teiltest Du mir mit, dass Du im zweiten Monat schwanger bist. Wenn unser Kind geboren wird, teile ihm bitte mit, dass sein Vater als Held für Frankreich gestorben ist. Und vor allem veranlasse es, dass es niemals in die Armee eintritt, um so blöd, wie ich, sterben zu müssen.“
Alle im Raum waren von diesem Soldatenschicksal ergriffen. Verstärkt wurde das Gehörte durch den Chor mit einem zeitgenössischen, extra für dieses Konzert komponierte Werk „1918, der Mann, der in den Krieg taumelte“, wo geschildert wird, dass die blutdurchtränkte Erde kein Blut mehr aufnehmen konnte.Versöhnliche, französische und englische Melodien wie „Weihnachten der Kinder, die kein Haus mehr haben“ vom 1918 gefallenen Musiker Claude Debussy, leiteten über zu klassischen, vom Chorleiter arrangierten Weihnachtsliedern und einer besonderen Version der „Ode an die Freude“, bevor alle im Saal aus Freude über die gelungene deutsch-französische Versöhnung in die Europahymne „Freude schöner Götterfunken“ einstimmten.
Nun bedankte sich Eckhard Fischer, der Vertreter des Marbacher Partnerschaftsausschusses, im Namen der Partnerstadt für die ehrenvolle Einladung der Marbacher Delegation. Er hob hervor, dass Marbachs Bürger nach den vielen kriegerischen Verwicklungen mit Frankreich gerne in die von den ehemaligen französischen Feinden ausgestreckte Hand einschlagen und, wie im Partnerschaftslogo festgehalten, beteuern: „Wir sind Freunde“. Fischer schob eine deutsch-französische Anekdote nach, die sich jüngst in Marbach ereignet hatte. Nach dem Tod ihres Mannes, des ehemaligen Stadtarchitekten Herbert Keim, fand Lieselotte Keim in dessen Unterlagen ein von seinem Vater Karl Keim im Ersten Weltkrieg gemaltes Aquarell mit dem Titel: „Die zerschossene Kirche von Lorgies“, in der Nähe von Lille. Lieselotte Keim schickte das Bild dorthin, wo es gemalt wurde. Die Bürgermeisterin von Lorgies reagierte mit folgenden Worten: „Ich bin Ihnen sehr verbunden durch Ihre, uns erwiesene, feinfühlige Aufmerksamkeit: die Übersendung des von Ihrem Schwiegervater 1916 gemalten Aquarells. Meine gewählten Kollegen haben Ihre Geste und die Qualität des Aquarells sehr geschätzt, zumal in unserer sehr schwer geschädigten Gemeinde wenige Dokumente über den Zustand des Dorfes infolge des Krieges existieren.“ Und weiter: „Vielleicht haben Sie die Gelegenheit, nach Frankreich zu reisen. Falls ja, werden Sie unser Gast sein!“ Fischer meinte, nach diesem zitierten Ereignis, brauche man kein anderes Beispiel mehr für die deutsch-französische Freundschaft.